Wir waren einer von 36 Gastorten bei Taizé Rostock

Mittagsgebet in der Hansemesse Rostock, Altarbild aus dem Rostocker Dreikönigsaltar, Freundschaftsikone aus Taizé
Mittagsgebet in der Hansemesse Rostock, Altarbild aus dem Rostocker Dreikönigsaltar, Freundschaftsikone aus Taizé

"Wie in den Kirchen dieser Gegend üblich, hängen auch in diesem Raum, der in einen provisorischen Gebetsort verwandelt wurde, kleine Schiffe. Sie sind ein Bild für die Zukunft der Kirche: Die Kirche ist kein großes und stolzes Schiff mehr, sondern ähnelt eher dem kleinen Boot, in dem Jesus mit seinen Freunden saß. Damals, mitten im Sturm, machte Jesus ihnen das Geschenk des Vertrauens auf Gott.
Frere Alois, Prior der Bruderschaft

Ein Abenteuer des Vertrauens

Über Silvester fand bei uns in Rostock und Umgebung ein internationales christliches Jugendtreffen statt. Die Kommunität von Taizé aus dem französischen Burgund hatte junge Menschen aus Europa zusammengerufen, um drei Tage lang zu singen, zu beten, sich auszutauschen und neue Erfahrungen in einem internationalen Kontext zu machen. Etwa 5000 Gäste zwischen 18 und 35 Jahren folgten der Einladung in die Universitäts- und Hansestadt. Die großen gemeinsamen Gebetszeiten für Frieden und Versöhnung fanden in der HanseMesse statt. Hier war bis vor kurzem noch eine Notaufnahme für Geflüchtete aus der Ukraine eingerichtet. Die Einladung für das Treffen hatten die evangelisch-lutherische Nordkirche, das katholische Erzbistum Hamburg, die ACK Mecklenburg Vorpommern, sowie der Bürgermeister der Stadt und der Landrat des Landkreises Rostock ausgesprochen. Die Baptistengemeinde Rostock war der einzige freikirchliche Gastort.

Empfang der internationalen Gäste

Raphael Lüdin und Pastorin Anja Neu-Illg beim Check-in der Slowenischen Gäste
Raphael Lüdin und Pastorin Anja Neu-Illg beim Check-in der Slowenischen Gäste

Ein Kernteam von 12 Leuten hat unsere Baptistengemeinde vier Tage lang in einen außergewöhnlichen Gastort verwandelt. Insgesamt waren ca. 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Gemeinde aktiv dabei.

Celia aus Spanien schrieb uns nach dem Treffen:
Thank you for the warm and kind welcome opening the doors of your church. I have attended many Taize European Meetings, but this one was really special, I really felt that your entire community opened their homes and hearts to us. My parents also wanted to thank you all the kindness you have showed us. We will never forget these incredible days in Rostock.

Gastgeberinnen und Gastgeber in unserer Nachbarschaft

Unsere Gemeinde hat 107 junge Gäste aus Belarus, Polen, Slowenien, Spanien, Italien, Frankreich, der Ukraine und Deutschland aufgenommen. Alle Gäste wurden in Privatquartieren untergebracht und fanden sich an jedem Morgen bei uns zu Morgengebeten und Gesprächsgruppen zusammen. Da unsere Gemeinde nur 150 Mitglieder hat, konnte die Unterbringung unserer Gäste nur mit Hilfe unserer Nachbarn gelingen. 40 Familien aus unserer unmittelbaren Umgebung öffneten zwischen den Jahren ihre Türen für die jungen Leute. Die Gastgeberinnen und Gastgeber gehörten zum Teil der katholischen oder der evangelischen Kirche an. Einige waren auch gar nicht kirchlich gebunden. Durch unsere Nachbarschaft haben wir vielfältige Unterstützung erfahren, etwa beim Aufbau von Kirchentagshockern, bei der Musik für die Morgengebete oder bei der Gestaltung der Silvesterfeier in unseren Räumen.

Morgengebete

Morgengebet am 29.12.2022 in der Baptistengemeinde Rostock
Morgengebet am 29.12.2022 in der Baptistengemeinde Rostock

Die Tage begannen jeweils um 8:30 Uhr mit Morgengebeten für Frieden und Versöhnung in den Gastorten. Lieder, Lesungen und Gebete fanden in den verschiedenen Sprachen der Herkunftsländer statt. Das Vaterunser wurde in allen Sprachen gleichzeitig gesprochen. Die Gebete wurden von uns als Gemeinde zusammen mit unseren Gästen und Nachbarn gestaltet.

Lesungen für die Morgengebete:
Deuteronomium 30,11–19
Matthäus 6,5–6
Lukas 12,27–29.31

Gesprächsgruppen

Im Anschluß an die Morgengebete wurden die Inhalte der Lesungen in Gesprächsgruppen gemeinsam refklektiert. Wie tief kann ein Austausch werden, wenn alle sich auf englisch verständigen, noch dazu mit Leuten, die sich gar nicht kennen? Sehr tief. Wir sprachen offen über die Hochs und Tiefs im vergangenen Jahr, über die Rolle des Gebets in unserem Leben oder über unsere ganz persönliche Definition von Erfolg.

Fragen in den Gesprächsgruppen

1. Tag

Im vergangenen Jahr hat jeder unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Was waren Quellen der Freude? Was waren Quellen der Entmutigung?

Wie und wo finden wir in unserem täglichen Leben Zeichen von Gottes
Gegenwart?

2. Tag

„Inneres Leben“: Was bedeutet dieser Ausdruck für mich? Was haben inneres Leben und Gebet miteinander zu tun?

Wie ergänzen sich das „persönliche Gebet“ und das „Gebet mit
anderen“ Oder ist beides dasselbe?

3. Tag

Was hat das Vertrauen auf Gott mit dem Einsatz für eine gerechtere
Welt zu tun? Kann mein Streben nach Erfolg im Widerspruch stehen zur Suche nach einem geschwisterlichen Zusammenleben aller Menschen?

Wir leben in gemeinsamen Räumen zusammen: unser Planet, unser
Land, unsere Kirche, etc. Welche neuen Formen der Zusammenarbeit und der Mitverantwortung könnte es dafür geben?


Zentrale Gebete in der Hansemesse

Aufzeichnung vom Abendgebet am 30.12. 2022

Frère Alois Löser, Prior der ökumenischen Bruderschaft von Taizé von Kindern umgeben
Frère Alois Löser, Prior der ökumenischen Bruderschaft von Taizé

"Als Kirchen sind wir heute zu einer tiefen Umkehr aufgerufen. Das bedeutet insbesondere, dass alle, die Christus lieben, nicht länger getrennt bleiben, sondern sich zusammentun ...
Frère Alois

"In dieser Region, in der die Christen eine Minderheit darstellen, ist das Bewusstsein vielleicht besonders stark, dass Christen zum Dialog und zu konkreter Solidarität – in Freude und Leid – mit allen Menschen aufgerufen sind.
Frère Alois

Im Mittelpunkt der zentralen Gebete am Mittag und am Abend stand die Bitte um Frieden, mit Liedern aus Taizé und in vielen europäischen Sprachen. An den Abenden richtete der Prior der Bruderschaft, Frère Alois das Wort an die Teilnehmenden, noch ganz unter dem Eindruck seines Besuchs in der Ukraine, wenige Tage zuvor. Kurze Schriftbetrachtungen bei den Mittagsgebeten wurden von Bundespräsident a.D. Joachim Gauck, Frère Simon (Taizé) und Pastorin Anja Neu-Illg (Rostock) gehalten.

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck in der Hansemesse
Bundespräsident a.D. Joachim Gauck in der Hansemesse

"Ihr ahnt noch gar nicht, was Ihr für andere bedeuten werdet! Ich stelle mir gerade vor, dass Euer Treffen, Euer geistiges und geistliches Miteinander euch zu Menschen machen kann, die in dunklen Zeiten einem Licht folgen und zu einem Licht für andere werden können.
Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

"Und wenn ich nun auf Eure Versammlung im Geiste von Taizé sehe, dann stelle ich mir vor, dass Ihr nicht singt, betet und diskutiert um aus der Welt zu fliehen, sondern dass Eure Suche nach dem, was die Welt nicht geben kann, Euren Glauben stärkt, der diese Welt nicht verachtet sondern sie besser machen will.
Bundespräsident a.D. Joachim Gauck


Workshops

Unterwegs in der Stadt

An den Nachmittagen konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die religiöse, wissenschaftliche, gesellschaftliche und politische Situation in Rostock erkunden. Sehr beliebt waren die Workshops in der Synagoge, in der Moschee und im buddhistischen Zentrum, aber auch die Stadtführung und der Besuch der Robbenstation. In unseren Räumen fand ein Workshop zum Thema Migration in Mecklenburg Vorpommern statt, durchgeführt von Flüchtlingspastorin Anja Fischer und dem Flüchtlingsbeauftragten der Nordkirche Lars Müller. Drei Geflüchtete aus dem Iran, dem Irak und Syrien berichteten über ihre Flucht und die Schwierigkeiten, in Deutschland anzukommen, aber auch darüber welche Hilfen sie durch die Arbeit der Nordkirche dabei erfahren haben.

Friedensgebet am Silvesterabend

beim Friedensgebet
mit einem Friedensgebet ins Neue Jahr 2023

Am Silvesterabend wurde ein gemeinsames Friedensgebet bei uns, zusammen mit unseren Gästen, ihren Gastgebrinnen und Gastgebern sowie einigen Besuchern aus der Gemeinde gefeiert. Musikalisch begleitet wurde das Friedensgebet von einer Gruppe aus der Erzdiözese Santiago de Compostella. Einige Gesänge wurden von einer polnischen Gruppe aus Utsch angeleitet. Diese Fürbitten wurden in verschiedenen Sprachen gebetet:

 

 

 

  • Für die Kirche, für die christlichen Gemeinden in Rostock und Umgebung, Herr, bitten wir dich.
  • Für unsere Länder und alle ihre Bewohner, für diejenigen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen,
    Herr, bitten wir dich.
  • Für die Alten, für die Kranken, Herr, bitten wir dich.
  • Für alle, die zu Unrecht denunziert oder wegen ihrer Rechtschaffenheit leiden, Herr, bitten wir dich.
  • Für diejenigen, die sich für Versöhnung und Frieden unter den Völkern einsetzen, Herr, bitten wir dich.

Fest der Nationen

Die Beiträge der verschiedenen Nationen waren hauptsächliche traditionelle und aktuelle Tänze. Die Slowenische Gruppe überraschte mit einem Slowenien-Quiz - das nächste Europäische Taizé-Jugendtreffen wird in Ljubljana stattfinden. Die deutsche Gruppe trug vom Akkordeon begleitet das Mecklenburg-Lied vor. Der Abend klang am frühen Morgen mit dem Lied "Von guten Mächten wunderbar geborgen" von Dietrich Bonhoeffer aus.


Neujahrsgottesdienst

Neujahrsgottesdienst, Blick in die Gemeinde
Neujahrsgottesdienst

In das Neue Jahr starteten wir mit einem Gottesdienst um 11:00 Uhr. Die Band gestaltete einen musikalischen Mix aus aktueller Lobpreismusik und Taizé-Liedern. Pastor Thomas Illg hielt eine Predigt zur Jahreslosung 2023: "Du bist ein Gott, der mich sieht." (1. Mose 16,13) Er wies darauf hin, dass Gott dort lebendig ist und dort hinsieht, wo wir ihn weder vermuten noch erwarten. Bevor unsere Gäste aufbrachen in ihre Heimatländer, gab es in der Gemeinde noch ein gemeinsames Essen mit etwa 40 Teilnehmenden.


Links

Veranstaltungsseite: Taizé Rostock

Bruderschaft: Taizé Frankreich

Schriftbetrachtungen: Taizé Frankreich

Termine

9.1 bis 14.1. 12:30 Uhr Mittagsgebete in der Petrikirche
14.1. 15:00 Uhr Treffen der Gastgebenden
vom Gastort Baptistengemeinde
15.1. 15:00 Uhr Abschlußgebet
Nikolaikirche



Schriftbetrachtung von Pastorin Neu-Illg zu Bildern aus dem Rostocker Dreikönigsaltar (1425)

 Pastorin Anja Neu-Illg, Text: Matt 2,1-2.7-12
Schriftbetrachtung beim Mittagsgebet am 29.12. 2022

 

Ein anderer Weg

 

Liebe Freundinnen und Freunde im Glauben,

 

ich freue mich so sehr, dass ihr uns hier in Rostock besucht – mit euren Geschenken. Durch euch werden uns auch unsere eigenen Schätze vor Augen geführt. Hier vorn seht ihr zwei Bilder aus dem Rostocker Dreikönigsaltar. Es ist das bedeutendste mittelalterliche Kunstwerk unserer 800 Jahre alten Stadt und zeigt ihre älteste Ansicht.

 

Ich möchte mit euch auf die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland durch die Brille des unbekannten Künstlers schauen. Er hat Bethlehem das Aussehen der Stadt Rostock gegeben. Schaut zunächst mal auf das Bild hier auf der rechten Seite.

 

Wir sehen den Beginn der Heimreise der Heiligen Drei Könige in einem Segelschiff, einer Kogge. Wenn soeine Kogge im Mittelalter am Horizont erscheint, kann das zwei Dinge bedeuten: Handel oder Krieg. Aber dieses Schiff fährt einen anderen Kurs. Es ist weder mit Handelsware noch mit Kriegsgerät bestückt. Mit geblähten Segeln verlässt es den sicheren Hafen der Stadt. Was hat es geladen?

 

Arme Könige. Die heimreisenden Könige sind aufgewühlt wie das Wasser im Stadthafen, der hier direkt am Meer zu liegen scheint. Sie hatten geträumt: Geht nicht zurück zu Herodes. Auf ihn ist kein Verlass. Findet einen Weg an ihm vorbei. Fragend schauen die Könige einander an: Hat sich das Abendteuer gelohnt? War es richtig, alle Schätze einem kleinen Kind namens Jesus zu geben?

 

So verlassen die Besucher die Stadt, ohne Gold, ohne Weihrauch, ohne Myrrhe – sie haben alles verschenkt. Wenn dies der Beginn der Heimreise ist, dann ist Bethlehem Rostock. Und das leuchtet ein: Ein neuer Stern geht auf und einmal spielt die Musik nicht in einer großen Metropole, sondern in der Provinz am Rand der Weltgeschichte, in Lüttenklein. Das bedeutet: Little small.

 

Was nehmen die Besucher aus Bethlehem-Lüttenklein mit nach Hause in ihre Heimatländer? Eine unbezahlbare Erfahrung, die auf dem Bild auf der linken Seite festgehalten ist: Die Anbetung des Kindes und die Übergabe der Geschenke – in einem. Auch der Evangelist Matthäus fasst das ja in einen Satz: „…und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold…“ (Matthäus 2,11)

 

Wie das geht, schenken und anbeten in einem, zeigt der älteste König, wohl auch der reichste. Seine Krone hat er in den Sand gelegt. Knieend überreicht er einen unfassbar wertvollen Goldschatz. Die jüngeren stehen noch etwas unentschlossen daneben. Was passiert hier? Sollen wir auch? Das Jesuskind scheint sich am Gold interessiert aufzurichten.

 

Sehen wir aber genauer hin, so ist die linke Hand des Jesuskindes als wollte sie spielen und die rechte zum Segen erhoben. Begeistert ist das Baby - wie alle Babies - von einem menschlichen Gesicht.

 

Die Blicke des alten Königs und des Kindes treffen sich. Sie schauen einander in die Augen. Und in diesem Blick tut sich ein Schatz auf. Der Schatz ist nicht in der Kiste. Es ist, als würde das Kind sagen:
Du bist selbst der Schatz, alter Junge. Geh hin in Frieden. „Und sie zogen auf einem anderen Weg zurück in ihre Heimatländer.“ (Matthäus 2,12) Sie gingen nicht nur woanders lang. Sie gingen auf andere Art.

 

Im Hintergrund: Joseph. Kaum zu sehen. Ein erstaunlicher Mann mit einer Mistschaufel in der Hand. (In der Rekonstruktion ein Hirtenstab, manchmal ist das auch schwer zu unterscheiden.) Er hat zu tun. Er ist kein König, kein Weiser, kein Sternenkundiger, – nicht aus einem fernen Land. Er ist von hier – ohne großen Namen - und beobachtet still, was geschieht. Aufs Neue heißt er Menschen bei sich willkommen, die ihm erstmal fremd sind und deren Sprache er nicht spricht. Auch er tut seine Schätze auf. Alles, was er hat: seine Familie, sein Haus und sein Herz. Dafür braucht er keine Krone, keine Kogge, keine Kamele und keine Kiste voll Gold. Auch er ist selbst der Schatz.

 

Ein anderer Weg ist möglich – in nur einem Augenblick.

Schenkt einander einen Blick, der heimlich um den Schatz im Andern weiß.